Die letzten Tage waren sehr erlebnisreich… Ich werde zuerst mit dem Negativen beginnen.
„Diskutieren, diskutieren, diskutieren!“
Vor ca. zwei Wochen im Bus von Ipiales zurueck nach Pasto erfuhr ich zum ersten Mal Korruption am eigenen Leib. An drei verschiedenen Militaercheckpoints wurde ich aufgefordert, meine Papiere zu zeigen. Beim ersten war der Polizist freundlich und nachdem ich meine Passkopie zeigte (das Original hatte ich nicht dabei), durfte der Bus weiter fahren. Beim zweiten Checkpoint wurde es das erste Mal heikel. Es wurde bemaengelt, dass ich nur die Kopie der Pass-Hauptseite dabei hatte, aber nicht jene des Eintritt-Stempels in Kolumbien. So mussten wir aus dem Bus aussteigen. Es wurde uns gedroht, dass man mich aufs Migrationsamt bringen muss. Nach einigen Minuten des Diskutierens liessen uns die vier Polizisten gewaehren und wir konnten im Bus weiterfahren. Erst spaeter wurde mir klar; auch sie wollten nur Geld erpressen. Wahrscheinlich hatten sie ihren Kollegen am Busterminal in Pasto ‚vorgewarnt‘. Jedenfalls stand der schon auf dem Perron, als wir aus dem Bus ausstiegen. Ein weiteres Mal: Papiere zeigen bitte… Ich war dieser Prozedur langsam ueberdruessig. Warum ich denn nicht den Original-Pass mitfuehre?, wurde ich abermals gefragt. Das bedeute ein Verstoss gegen das Gesetz, in diesem Fall muessten sie mich auf das Migrationsamt bringen, wo ich dann ausgeschafft wuerde… Wir wurden in eine kleine Huette ohne Licht gefuehrt (es war schon dunkel draussen…), wo die Diskutiererei weiterging. Ich mochte einfach nicht mehr. Ploetzlich hiess es, Leute die Probleme mit den Papieren haetten, bezahlten normalerweise 100 Dollar. Das sei die Alternative. Ich schaute in mein Portmonee und sagte: „Ich habe 20’000“ (pesos; dh. ca. 10 Dollar). Der Polizist fragte: „20’000 was??“, und man sah schon die Dollarzeichen in seinen Augen leuchten. Schlussendlich lief ich um 35’000 Pesos erleichtert und mit einem unguten Gefuehl im Bauch von dannen. Wie ich spaeter von Kolumbianern erfuhr: In solchen Faellen musst du immer diskutieren, diskutieren, diskutieren. NIcht nur 5 Minuten,so wie ich, sondern 20 oder 30! Dann lassen sie einen im Normalfall gehen. Niemals sollte man bezahlen, da stachelt sie nur zu weiteren Erpressungen anderer Leute an.
Das Recht ist schliesslich auf meiner Seite, ich habe immer das Recht, in meine Unterkunft zu gehen, um zu beweisen, dass ich einen gueltigen Pass habe. Na ja, die Kolumbianer kennen fuer solche Polizisten nur eine Bezeichnung: „Hijo de …“
Besser nicht davonlaufen
Ein noch etwas unangenehmeres Erlebnis hatte ich am Samstag in Cali. Eigentlich wollte ich vom Hostel aus zu einem Supermarkt marschieren, um eine Flasche Wasser einzukaufen. Der Receptionist meinte, ich solle 10 Bloecke geradeaus Richtung Zentrum, dort gebe es einen grossen Supermarkt. Die Strasse wurde, je weiter ich lief, immer voller von Menschen, bis ich mich in einem Getuemmel von Marktstaenden, Kleiderlaeden und Menschen befand. Ploetzlich stand ein ziemlich unfreundlich aussehender Mann vor mir und begann auf mich einzureden. Zuerst begriff ich nicht, worum es geht, bis er auf die (vermeintliche?) Pistole zeigte, die sich unter seinem T-Shirt abzeichnete. „Mone, mone, mone!“ redete er auf mich ein und beginn ploetzlich wie verrueckt an meiner Halskette zu ziehen. „Rápido rápido!“ – „Schnell, schnell!“, sagte er. Ich entschied, dass jeglicher Widerstand bzw. davonzulaufen ein zu grosses Risiko darstellen wuerde, trotz der grossen Menschenmenge. Es gafften alle nur, aber niemand griff ein. Ich loeste die Halskette, die mir sogleich weggerissen wurde und ueberreichte ihm mein Tagesportmonee, das umgerechnet etwa 40 Franken enthielt. Danach lief ich schnell davon.
Der grosse Fehler war wohl die goldene Halskette, welche ich nicht unter dem T-Shirt versteckt hatte. Ausserdem sollte man auf der Strasse grundsaetzlich mit niemandem reden.
Im Hostel meinten sie, ich haette in dieser Menge auch davon laufen kommen. Doch dazu war es zu spaet, als ich realisierte worum es ging. Auch in Reisefuehren etc. wird generell davon abgeraten, davon zu rennen oder sich zu wehren. Die Diebe seien dann unberechenbar; es wurden auch schon Leute umgebracht fuer ein wenig Taschengeld. Im Normalfall ist es das Sinnvollste und vor allem das Sicherste, den Dieben zu geben wonach sie sind, ohne Diskussionen (im Gegensatz zu den Polizisten…) Ein bisschen wurmt mich der Verlust der Halskette, doch irgendwann musste es wohl dazu kommen, da ich sie jeden Tag mit mir rumtrug. Sie war ein persoenliches Andenken. In Zukunft will ich auf jeden Fall nicht mehr gutglaeubig stehen bleiben, wenn mich auf der Strasse jemand anspricht.
So, nun zum Positiven und Abenteuerlichen (99% von dem was ich erlebe in Kolumbien 🙂 )
Von Pasto aus (2500 m.ue.M.) „bus-te“ ich vor vierzehn Tagen durch die undurchdringbaren Andenabhaenge nach Mocoa (500 m.ue.M.), die Hauptstadt der amazonischen Provinz Putumayo. Diese Strasse traegt wohl zurecht den Uebernamen „Trampolin des Todes“. Allein im Jahr 2011 blieben hier 500 Menschen auf der Strecke. Sie ist die meiste Zeit nicht breiter als drei Meter, extrem kurvig und ungeteert. Dazu kommen unzaehlige Schlagloecher und Spuren von Erdrutschen und Steinschlaegen. Vielerorts waren Arbeiter waehrend meiner Ueberfahrt mit der Montage von Leitplanken beschaeftigt, welche mir an gewissen Stellen ein Gefuehl von Sicherheit vermittelten. Trotzdem war ich doch sehr erleichtert, das fatale, gut 100km lange Trampolin nach fuenf Stunden hinter mir zu wissen.
Das Staedtchen Mocoa hat nebst ein paar Billard-Schuppen, Essbuden und einem Ueberangebot an frischen Tropenfruechten nicht viel zu bieten; der Trumpf ist die Naehe zu spektakulaeren Wasserfaellen und unberuehrten Regenwaeldern. Da ich beides in diesem Jahr zur Genuege bestaunen durfte, fiel mein Aufenthalt in Mocoa – im nach Gaesten duerstenden, aber idyllischen Hostel eines Belgiers – relativ kurz aus (zwei Tage). Am einen Tag lief ich zum ‚Fin del Mundo‘ (Ende der Welt), eine Kaskade von kleineren bis sehr grossen Wasserfaellen mit Naturschwimmbecken. Die Pfade sind schon zu ausgetreten und der Ort schon zu oft besucht, als dass von der Magie der Wasserfaelle im Urwald noch ein Stueck uebrig geblieben waere. Genossen hab ich’s trotzdem.
Am andern Tag besuchte ich einen Umweltbildungs-Naturpark-Regenwaldzoo (‚Centro de Experimentacion Ambiental‘) nur wenige Kilometer von Mocoa. Der Ort ist quasi noch ‚under construction‘ und viele der beschlagnahmten Tiere hausen in provisorischen und zu kleinen Kaefigen. Als Highlight durfte ich die groesste Suesswasser-Fischart bestaunen, der in den Amazonasgewaessern heimische Pirarucu, der angeblich eine Laenge von bis zu 3m erreicht. Dieses spektakulaere Video zeigt, wie der Jaguar einen Pirarucu jagt. Ausserdem gab es unter anderem einen Jaguar Undyi, drei Ozelote, Tapire und Regenwaldwildschweine.
Zufaelligerweise war zur gleichen Zeit wie ich eine Sekundarklasse aus Puerto Asis zu Gast. Sie luden mich zu ihrem Lager-Mittagessen ein und liessen mich dann fast nicht mehr los. Schliesslich sehen die nicht jeden Tag einen ‚Mono‘ (kolumbianische Sprechart fuer ‚Weisser‘; eigentlich ‚Affe’…). So verbrachte ich dann den ganzen Tag mit dieser Klasse aus dem Amazonasgebiet, nahm an ihrer Umweltbildung teil und holte im Hostel den Schlafsack, um am Abend am Lagerfeuer teilzunehmen und draussen zu schlafen. Bei den ‚Gruselgeschichten‘ des Lehrers erfuhr ich, dass gleichenorts vor vier Jahren eine ‚mona‘ (->Weisse) von Paramilitaers hingerichtet wurde. Das war mir dann nicht mehr so geheuer. Dann musste ich noch ein bisschen von meinen Reisen erzaehlen, bevor nach ein paar Liedchen alle ins Zelt (oder auf den Fussboden der Huette, wie ich) gingen, um zu schlafen. Dass ich kaum ein Auge zubrachte, hatte aber weniger mit der getoeteten Hollaenderin zu tun, als mit der Tatsache, dass mein Schlafsack viel zu warm war und die Moskitos extrem nervten.
Am naechsten Tag hiess es frueh aufstehen, fruehstuecken, Abschiedsfoto mit der Klasse, zurueck zum Hostel, duschen, packen, per Anhalter in die Stadt und zurueck zum Hostel (Wertsachen vergessen), per Taxi zum Terminal und per Bus auf guter Strasse in drei Stunden nach Pitalito.
In dieser unspektakulaeren und mutmasslichen Drogen-Drehscheibe-Kleinstadt genoss ich den Charme des kolumbianischen Wochenendes, wiedermal Couchsurfen und leckere Fruchtsaefte.
Gruene Huegel und raetselhafte Statuen
Pitalito liegt nur 40 Minuten von San Agustin, das mein naechstes Reiseziel war. Zwei Tage genuegten fuer eine kleine Rundschau der bedeutendsten archaeologischen Staette Kolumbiens. Die vielen Graeber, geritzten Steine und Skulpturen bedarfen weitgehend einer Eigeninterpretation, da aus jener Zeit vor ca. 4-5000 Jahren keine schriftlichen Zeugnisse erhalten sind.
Zu meinem Programm gehoerten ein Rundgang im ‚Parque Arqueológico‘ und eine ‚Tour a Caballo‘ (Pferderitt mit Fuehrer) zu ein paar weiteren bedeutenden Staetten. Da ich bekanntlich kein Archaeologiefreak bin, haute mich die aus gruenen Huegeln und verstreuten Landsitzen bestehende Landschaft noch fast mehr aus den Socken als das Kulturell-Historische. Mein persoenlicher Hoehepunkt war dann auch die Einkehr in einem ‚deutschen‘ vegetarischen Restaurant, wo ich die bisher leckerste kolumbianische Mahlzeit serviert bekam.
Letzten Mittwoch gings dann auf der naechsten Holperpiste zurueck nach Popayan, wo ich vor ca. drei Wochen schon war. Naja, was kann ich zu dieser Strasse sagen? Absolut jaemmerliche Zustaende im Vergleich zu den neuen Hauptstrassen Ecuadors! (Man vergleicht halt automatisch.) Und es sollte nicht die letzte Durchschuettel-Ganzkoerpermassage dieser Woche sein… Highlight auf dem Weg war dann aber eine rigorose Gepaeckkontrolle der Polizei, die darin gipfelte, einen riesigen Sack mit Hunderten von Fischen zu durchsuchen. Die Fische wurden einzeln inspektiert, ob anstelle der Eingeweide vielleicht andere Beutelchen platziert worden waren. Dem Vernehmen nach nicht… Trotzdem wurde der ganze Fund am Strassenrand fuer die Muellabfuhr deponiert, da Fischtransporte ohne Eis verboten sind. Ich erinnere mich schmunzelnd an jene Busfahrt nach Guayaquil, als von mir unbemerkt im Heck des Buses sich ein Fisch-Sack oeffnete und meinen Rucksack benaesste. (Seither wird dieses Gepaeckstueck nur noch im Regenschutz eingehuellt transportiert!). Eine Stunde vor Popayan – in Coconuco – stieg ich aus und liess mich von einem Motorradtaxi zu einem Thermalbad chauffieren, wo ich dann auch uebernachtete. Und am andern Tag mit einem Kater aufwachte, wegen des vielen Rums, den mir die Kolumbianer angeboten hatten (auch in den heissen Thermalbecken wird heftigst getrunken…).
Nun also, Popayan kannte ich ja schon von vor drei Wochen. Es galt lediglich nachzuholen, was ich damals verpasst hatte: einen Tagesausflug in den Nationalpark des Vulkanes Puracé. Eine Besteigung kam wegen meiner fortwaehrenden Knieschmerzen nicht in Frage. Es war ein aufregender Tag, denn im Gebiet verkehren nur wenige Busse und Sammeltaxis. Ich kam doch ein bisschen umher, besuchte eine Schwefelmine, den Rastplatz der Kondore (die ich nicht zu Gesicht bekam) und als Highlight die heissen Naturquellen ‚San Juan‘. Es ist eine ausserirdisch anmutende Ansammlung von sprudelnden heissen Schwefelwasserbecken in unwahrscheinlichen Farbkombinationen.
Ein Bad zu nehmen (formell verboten) wurde mir vom Parkwaechter augenzwinkernd erlaubt; ich solle lediglich die giftigen Gase ‚vermeiden‘, welche austreten, wenn ich das Wasser in Bewegung versetze. Das stellte sich aber schwieriger heraus als erwartet, da erwaehnte Gase zwar stinken, aber unsichtbar sind…
Die Rueckfahrt nach Popayan (2h) managte ich im letzten Abendbus, eine alte Klapperkiste schaetzungsweise aus den 70er-Jahren. Ich uebertreibe jetzt NICHT: Die Anzahl Schlagloecher auf der ‚Strasse‘ waren mehr als zwei pro Streckenmeter. Und sie waren so tief, dass es mich schon mal 20cm vom Sitz in die Hoehe jagte. Daraus entstand ein witziges Video-Selbstportrait.
Will weg und bleibt…
Jetzt bin ich seit letztem Freitag wieder in Cali. Eine Stadt, die ich kaum greifen kann, aus der ich fast jederzeit abreisen moechte, aber dann doch bleibe, mit dem Gefuehl „das kann es doch nicht gewesen sein“. Ja, was mach ich hier eigentlich?
Oke, so schlimm ist es schon nicht. Am Wochenende fand gluecklicherweise das Weltfestival des Salsatanzes hier statt. Eine Mischung aus Zirkus, Tanz und kollektiver Ekstase in der Stierkampfarena. Drei Abende lang jeweils vier Stunden Tanzspektakel, Paare, Gruppen, verschiedene Stile gepaart mit Fanatismus und einer Prise Humor.
Und jetzt soll ich selbst noch ein paar Tanzschritte aufgreifen in dieser selbsternannten ‚Welthauptstadt des Salsa‘. Dazu muss ich aber warten bis der Durchfall wieder nachlaesst.